Film des Monats: November 2003

Nói Albinói
Regie: Dagur Kári
Drehbuch: Dagur Kári
Island 2003

Die frierende Iris macht kurzen Prozess. Während ihr Freund Nói noch das Schloss des naturkundlichen Museums bearbeitet, wirft sie mit einem Schneeball die Scheibe ein. An ausgestopften Eisbären und Zugvögeln vorbeitanzend, finden die beiden eine illuminierbare Weltkarte. Für ihre Heimat Island ist kein Lämpchen vorgesehen. Nach einem Knopfdruck mit geschlossenen Augen leuchtet stattdessen Hawaii auf - eine denkbar ferne Gegenwelt.

In einer Reihe lakonischer Kurzgeschichten erzählt der junge isländische Filmregisseur Dagur Kári vom in sich kreisenden Leben eines abgelegenen Küstendorfes. Nächtliches Blau verzaubert die Landschaft in eine verwunschene Idylle, aus deren Enge Nói immer wieder auszubrechen versucht. Ob er sich in der Schule durch einen Kassettenrecorder vertreten lässt, mit einem gestohlenen Straßenkreuzer im Schnee stecken bleibt oder bei einem Bankraub jämmerlich scheitert: seine Rebellion macht ihn den skurrilen Originalen nur ähnlicher, die Káris Film bevölkern und sich längst mit ihrer Existenz abgefunden haben.

Im Keller seines Elternhauses gibt es ein Erdloch, in das sich der kahlköpfige Nói unbemerkt zurückziehen und wo er seinen Fantasien nachhängen kann. Dort überlebt er eine Lawine, die seine Verwandten und Freunde in den Tod reißt. Verwaist und von allem entblößt, wird der Verschüttete nach Tagen geborgen, fast eine Wiedergeburt aus dem Grab.

In Káris schwarzer Komödie nimmt alles die schlimmstmögliche Wendung, beiläufig fällt ein Satz Kierkegaards über die Vergeblichkeit menschlichen Handelns. Fatalismus ist dennoch nicht das letzte Wort des Films. Ein Standbild, das Nói auf den Trümmern seines zerstörten Elternhauses durch ein Diagerät betrachtet, wird unerwartet lebendig, Wellen laufen über einen paradiesischen Strand. Die metaphorische Kraft des Kinos schafft eine zweite Realität, die für den ewig scheiternden Nói in der ersten nicht zu erreichen ist.

Als Download (PDF):
Film-Credits
Island 2003
Produzent:
Zik Zak Filmworks/Essential Filmproduktion/The Bureau/M&M Productions
Regie:
Dagur Kári
Drehbuch:
Dagur Kári
Kamera:
Rasmus Videbaek
Schnitt:
Daniel Dencik
Darsteller:
Tómas Lemarquis (Nói), Thröstur Leó Gunnarsson (Kiddi Beikon), Elin Hansdóttir (Iris), Anna Fridriksdóttir (Lina), Hjalti Rögnvaldsson (Óskar), Pétur Einarsson (Prestur) u.a.
Format:
35 mm, 93 Min., OmU
Verleih:
Neue Visionen Filmverleih GmbH
Schliemannstr. 5, Berlin Tel.:+49 030 440088-44, Fax: +49 030 440088-45, info@neuevisionen.de, www.neuevisionen.de
Preise:
Filmpreis der schwedischen Kirche, FIPRESCI-Preis und Nordischer Filmpreis, Göteborg 2003
FSK:
ab 12
Kinostart:
13.11.2003